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Normen, harmonisierte Normen und technische Regelwerke – Unterschiede, Bedeutung und rechtliche Relevanz

In der Welt der Technik, des Engineerings und insbesondere bei der Produktzulassung tauchen immer wieder Begriffe wie „Norm“, „harmonisierte Norm“ oder „technisches Regelwerk“ auf. Doch was verbirgt sich genau dahinter – und wie verbindlich sind diese Vorgaben eigentlich?

In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf die Unterschiede, den rechtlichen Stellenwert und die praktische Bedeutung dieser Dokumente. Wie immer bietet dieser Wissensbeitrag einen allgemeinen Überblick über das Thema und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Trotz sorgfältiger Recherche übernehmen wir keine Gewähr für die Richtigkeit, Aktualität oder rechtliche Verbindlichkeit der Inhalte. Bei konkreten Fragestellungen empfehlen wir die individuelle Prüfung durch fachkundige Stellen oder die zuständige Behörde.


1. Was ist eine Norm?

Eine Norm ist ein Dokument, das technische oder qualitätsbezogene Anforderungen an Produkte, Verfahren oder (Dienst-)Leistungen beschreibt und von einer anerkannten Organisation und deren Normungsgremium herausgegeben wird.

Normen sind sehr vielfältig: Es gibt beispielsweise Normen
– zu spezifischen Herstellungsverfahren (z. B. Schweißverfahren DIN 35230),
– zu regulatorischen Elementen wie Qualitätsmanagementsystemen (z. B. ISO 9001),
– zu Begriffen und Definitionen (z. B. Kunststoffe – Fachwörter ISO 472),
– zu Prüfverfahren (z. B. Zugversuch nach EN ISO 527-1)
– oder zu Kennzeichnungen und Symbolen (z. B. Sicherheitszeichen ISO 7010).

Sie sehen: nicht jede Norm ist sicherheitsrelevant – viele unterstützen durch Standardisierung vor allem die Vergleichbarkeit, Wiederholbarkeit, Verständlichkeit und Effizienz technischer Prozesse oder Organisationen.

Normen werden im Konsens durch anerkannte Organisationen (z. B. DIN, ISO, EN) erarbeitet und regelmäßig aktualisiert. Dabei setzen sich die Gremien, die eine Norm erstellen, aus Experten verschiedener Interessenvertretungen zusammen – darunter sind häufig Prüfstellen, Unternehmen, Verbände und Wissenschaftler:innen. Die Initiative zur Erarbeitung einer Norm kann aus der Industrie kommen oder auf politischer Ebene angestoßen werden – etwa durch ein Mandat der EU-Kommission.

Auch wenn Normen nicht automatisch rechtsverbindlich sind, werden sie insbesondere im technischen Bereich meist als Grundlage zum Nachweis von Sicherheitsanforderungen akzeptiert. Zudem können Normen durch ausdrückliche Bezugnahme in Gesetzen oder Verordnungen rechtlich verbindlich werden.

Wichtig: Normen sind per se nicht rechtsverbindlich, sondern gelten nur, wenn sie vertraglich vereinbart oder durch Gesetze und Verordnungen in Bezug genommen werden.


2. Technische Regelwerke

Der Begriff ‚technisches Regelwerk‘ bezeichnet technische Vorschriften, Richtlinien, Merkblätter oder anerkannte Regeln der Technik, die meist von Fachverbänden, Behörden oder Gremien herausgegeben werden. Sie stehen neben Normen, können sich aber auf diese beziehen oder sie ergänzen. Technische Regelwerke ähneln Normen hinsichtlich ihrer technischen Inhalte, unterscheiden sich jedoch in der Rechtswirkung: Sie sind häufig durch Verordnungen oder Verwaltungsvorschriften direkt verbindlich oder gelten als allgemein anerkannte Regeln der Technik. Teilweise werden sie auch direkt im Auftrag oder unter Beteiligung einer Behörde entworfen und bekannt gegeben.

Rechtliche Relevanz bekommen sie insbesondere dann, wenn sie in Gesetzen oder Verordnungen genannt werden. Viele technische Regelwerke gelten jedoch auch ohne ausdrückliche Verweisung als allgemein anerkannte Regeln der Technik und sind dadurch faktisch verpflichtend. So sind beispielsweise die Berechnungsempfehlungen des DIBt eine entscheidende Grundlage für die Zulassung entsprechender Anlagen durch das DIBt.

Einige Beispiele für technische Regelwerke, die je nach Kontext rechtlich verbindlich oder als Stand der Technik anerkannt sind:

  • DVS-Richtlinien: fachverbandlich getragen, nicht rechtsverbindlich, aber Stand der Technik.
  • AD 2000: vom vdTÜV herausgegeben und stark verbreitet. Das Regelwerk wird in Deutschland normalerweise von Behörden und benannten Stellen als anerkannte technische Grundlage für die Umsetzung der Druckgeräterichtlinie akzeptiert. Es dient in der Praxis als etablierter Nachweisweg, insbesondere wenn keine harmonisierte Norm angewendet wird.
  • DWA & DIBt: behördlich beeinflusst, teils in AwSV und Baurecht eingebunden.

Ob diese Regelwerke im Einzelfall rechtlich verbindlich sind, hängt vom jeweiligen Gesetzes- und Genehmigungsrahmen ab.


3. Harmonisierte Normen – EU-Recht

Harmonisierte Normen sind eine besondere Kategorie europäischer Normen. Sie werden im Amtsblatt der EU in Bezug auf Gesetze/Richtlinien gelistet und ermöglichen eine sogenannte „vermutete Konformität“. In der Praxis wird diese vermutet Konformität fast immer anerkannt, solange keine gegenteiligen Nachweise vorliegen. (Der Begriff der „Vermutung“ stammt aus dem Rechtswesen und bedeutet, dass eine Tatsache als gegeben gilt, solange sie nicht widerlegt wurde.)

Harmonisierte Normen sind dabei in der Regel deutlich spezifischer und produktbezogener als das sehr allgemein gehaltene zugrunde liegende Gesetz/Richtlinien. Harmonisierte Normen bieten Herstellern und Betreibern eine anerkannte und konkretisierte Möglichkeit, wie gesetzliche Anforderungen technisch umgesetzt werden können.
Harmonisierte Normen bieten einen spezifischen und anerkannten Weg, um die Anforderungen zu erfüllen – es steht jedoch jedem frei, dies durch eigene technische Nachweise auf andere Weise zu tun.

Beispiel: Ein Kunde baut einen Behälter aus GFK, der unter die Druckgeräterichtlinie fällt. In der 2014/68/EU wird in den allgemeinen Sicherheitsanforderungen (Anhang I Satz 2.1) bestimmt, dass „[i]n dem Entwurf […] geeignete Sicherheitsfaktoren zu berücksichtigen [sind], bei denen umfassende Methoden verwendet werden, von denen bekannt ist, dass sie geeignete Sicherheitsmargen in Bezug auf alle relevanten Ausfallarten konsistent einbeziehen.“ Sie sehen vermutlich recht schnell, dass dies sehr weit gefasst ist und möglichweise Rückfragen durch z. B. eine notifizierte Stelle vorprogrammiert sind. Der Hersteller des GFK-Behälters schaut deshalb in das Amtsblatt und findet die harmonisierte Norm EN 13121-3 für GFK-Behälter. Im Anhang ZA ist dargestellt, dass die Abschnitte 7.9.4, 7.9.5 und 8.2 geeignet sind, die entsprechenden Anforderungen der Richtlinie im Hinblick auf Sicherheitsfaktoren zu erfüllen. Nun hat der Hersteller genaue Vorgaben zum Ermitteln des Gesamtauslegungsfaktors, der Einflussfaktoren A, Materialteilfaktoren, usw. Hält sich der Hersteller an die in der harmonisierten Norm geforderten Vorgaben, hat er für entsprechende Anforderungen eine sogenannte vermutete Konformität erreicht.

Tipp: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass harmonisierte Normen öffentlich zugänglich sein müssen. Im deutschsprachigen Raum gibt es dafür eine Seite der DIN (externer Link) auf der entsprechende Normen kostenfrei online eingesehen werden.


4. Belastbarkeit & rechtliche Bewertung

DokumenttypStatusRechtsverbindlichkeitKommentar
Harmonisierte NormEU-relevantNicht verpflichtend, aber Mittel zur „vermuteten Konformität“Belegt vermutete Konformität
Technisches RegelwerkMischformJe nach Kontext freiwillig oder faktisch verpflichtend.Kann branchenspezifisch verpflichtend sein
Norm (z. B. DIN, EN)PrivatwirtschaftlichFreiwillig, außer in Gesetzen oder Verordnungen genanntGilt oft als Stand der Technik

Fazit: Anwendung mit Augenmaß

  • Harmonisierte Normen sind ein starker Hebel für CE-konforme Produkte.
  • Technische Regelwerke können sogar verpflichtend sein, je nach Kontext.
  • Normen sind wichtig, aber nur dann bindend, wenn sie entsprechend einbezogen werden.

Wer sich in der Produktentwicklung oder im Anlagenbau tätig ist, sollte die Relevanz und rechtliche Einordnung dieser Dokumente kennen – und bewusst entscheiden, welche Dokumente zur Anwendung kommen sollen.


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